Ich Schreibwurst, und ich bin stolz darauf

Links im Bild ein Stift, rechts eine auf einer Grillgabel aufgespießte Grillwurst

Wehklagen und Optimismus halten sich die Waage in der Branche: Ist ChatGPT nur Arbeitserleichterung oder der Untergang für alle Texter:innen? Vielleicht ist es an der Zeit, der Branche ein paar Zacken aus der Krone zu schlagen – und sich auf die eigenen Stärken zu konzentrieren. Um es in den Worten von ChatGPT zu sagen: „Lasst mich meiner Wege gehen und mich nicht von GPT-Chatbedrohungen abhalten – es ist immer noch mehr als nur Wurst.“

Valide Informationen recherchieren, sinnvoll verknüpfen, mit eigenen Gedanken anreichern und bestenfalls mit einer Prise Entertainment in formvollendete Texte gießen: Damit kann man beruflich eine ganze Menge anstellen. Zumindest bis gestern. Denn seit das US-amerikanische Unternehmen Open AI seinen ChatGPT rausgebracht hat, scheinen alte (Text-)Gewissheiten nicht mehr zu gelten – und eine ganze Branche macht Männchen. Es ist eine neue Runde eingeläutet im Kampf Mensch gegen Maschine: Ausgang ungewiss – und der Traumberuf Texter:in ausgeträumt?

Gegenfrage: Warum sollte es uns besser ergehen als all jenen, deren Aufgaben bereits vom technologischen Fortschritt übernommen wurden? Deutschland, einig Autoland, braucht für seine E-Auto-Offensive schon länger keine ölverschmierten Hände mehr, sondern effiziente Programmierer:innen-Gehirne. Und das ist nur der Blick auf die jüngste Geschichte. ChatGPT, sei doch einmal so nett und erstelle mir eine kompakte Zusammenstellung der Berufe, die genialen Ideen zum Opfer gefallen sind.

„Ja, klar! Hier sind einige Berufe, die durch technische Fortschritte und innovative Ideen verloren gegangen sind:

  1. Schreiber
  2. Telegrammübermittler
  3. Schmied für Pferdehufe
  4. Briefträger per Pferdekutsche
  5. Lamplighter
  6. Fährmann
  7. Kohlenklauber
  8. Kartenzeichner
  9. Handschuhmacher
  10. Schreibmaschinenbediener“

Danke! Dass neuerdings alle Pferde barfuß unterwegs sind, war mir nicht bewusst, aber Spaß (und Überheblichkeit) beiseite, denn es ist Zeit für uns, von unserem hohen Ross herunterzukommen. Die teils arrogant angehauchte Gewissheit, dass das Denken und Schreiben immer Konjunktur habe und man nicht vom Fortschritt hinweggespült werden könne, ist zumindest erst einmal passé. Texte von KI verfassen lassen – das grenzte bisher an Blasphemie im Land der Dichter:innen und Denker:innen. Denn würde es nicht den prometheischen Geniefunken schnöde ausblasen, wenn jeder Text im Verdacht stünde, von einer namen- und seelenlosen Konkurrenz verfasst zu sein?

Wie wäre es mit der Haltung: Wir nehmen diese Herausforderung an! Bisher ist ChatGPT nämlich nur so genial wie die Menschen, deren Texte es studiert hat. Das heißt für viele: Es ist besser als man selbst. Dazu zählen mit Sicherheit viele Studierende, Projektmanager:innen oder Hausmänner – und eben auch manch Fachkraft in der Pressestelle, die mal wieder eine der 5 W-Fragen in ihrer Pressemitteilung übergangen hat.

Schnellrückblick auf biographisch im Nachhinein vollkommen überflüssige Stationen zur Veredelung des Lebenslaufs? Das Uni-Seminar „So schreiben Sie die perfekte Pressemitteilung“ oder die zweitägige Fortbildung „Business- und Gebrauchstexte für Berufseinsteiger:innen“. Vielleicht doch sinnvoller als gedacht? Das Seminar „Präsentation und Menschenführung“ oder die Currywurst mit Feierabendbier zum Netzwerken.

Auf welchen Zug sollten wir Redakteur:innen, Texter:innen und alle, die aufs Wort gesetzt haben, jetzt also aufspringen? Halb so wild, wir sourcen die schnöden Börsenberichte und Pressemitteilungen aus und wenden uns Höherem zu? Oder: All diejenigen, die davon gelebt haben, Gebrauchstexte besser als andere zu schreiben, können schon mal ihr LinkedIn-Profil aktualisieren?

Oder berufen wir uns mal wieder auf den alten Goethe („Ach, was ich weiß, kann jeder wissen, mein Herz habe ich allein.“) und schreiben alle Betroffenheitsberichte und menschliche Innenansichten? So viel ist sicher: Die Angst, als Texter:in im Jahr 2023 überflüssig zu werden, kann ChatGPT nicht in Worte fassen. Oder doch? Lassen wir es einmal drauf ankommen – und stellen wir uns der Herausforderung!

Liebes ChatGPT, schreibe eine Glosse darüber, wie es sich anfühlt, als Texter:in von vielen Menschen darauf angesprochen zu werden, dass man dank ChatGPT bald arbeitslos ist. Bringe ein Goethe-Zitat unter und das Wort „Wurst“.

„Ich Schreibwurst, und ich bin stolz drauf.

Obwohl ich alltagstextliche Aufgaben erledige, regt es mich doch auf, wenn ich ständig auf meinen Beruf angesprochen werde, als würde er schon bald durch Chat GPT-Software ersetzt werden. Es ist wie ein Kellerschritt, anschließend kann man nur hoffen, dass die Treppe darüber aus Glas ist und man sich im Licht der Sonne wiederfinden wird.

Wie Goethe einst sagte: „Es ist schwer, bei allem, was man tut, in steter Sorge vor dem Vergangenen sich für das Richtige zu entscheiden“ – aber manchmal ist das nicht nötig, einfach nur Wurst und nochmal Wurst. Es ist schwer, sich nicht von Selbstzweifeln leiten zu lassen, aber getreu Goethes Worte: „Es kommt nicht darauf an, wie hoch man steigt, sondern wie man steht“ – und das versuche ich eben als Schreibwurst. Also lasst mich meiner Wege gehen und mich nicht von GPT-Chatbedrohungen abhalten – es ist immer noch mehr als nur Wurst.“

Danke, besser hätte ich es auch nicht sagen können.

Svenja Schulz ist Texterin in der Redaktion der Berliner Kommunikationsberatung
ORCA Affairs.